Das Lied der Sexualität (gefunden in der VC hier)
"Die Wesen aus dem Verborgenen Königreich nennen es natürlich nicht 'Sex'.
Die Männer und Frauen der Menschenwelt sind die einzigen Lebewesen auf der Erde,
die es als 'Sex' bezeichnen. Bei den Feen heißt es einfach 'das Lied'.
Vor langer Zeit, als Männer und Frauen noch nicht wussten, wie man hasst und Angst hat, bezeichnete man den Prozess der Erzeugung neuen Lebens als 'Gesang'.
Warum? Weil Singen in jenen alten Zeiten die heiligste Tradition war,
jene, die man am meisten ehrte. Singen war gleichbedeutend mit Beten;
durch Gesang erwies man einer Sache oder einem Lebewesen Ehre;
Gesang war eine Anerkennung und ein Lob der Macht und Göttlichkeit, die allen Dingen innewohnt.
Und der Akt der Paarung war das größte Gebet,
das größte Lob und die größte Verehrung zu der ein menschliches Wesen fähig war.
Denn aus diesem Akt entstand neues Leben - das Wunder der neuen Anfänge.
Aus diesem Akt oder Gesang erwuchs die Erfahrung der 'heiligen Intimität'
- denn einen kurzen, großartigen Augenblick lang waren die beiden Liebenden Göttliche Schöpfer, die eine neue Welt gebaren.
Das Lied war also das Fundament aller Kulturen und Zivilisationen.
Alles entstand aus Gesang: Religionen, Regierungen, Kunst und Erziehung.
Doch aus vielen verschiedenen, komplizierten Gründen ging den Männern und Frauen
dann allmählich diese Fähigkeit des Gesangs verloren.
Ihre Stimmen waren keine Instrumente der Freude mehr, sondern Instrumente des Zorns,
keine Instrumente der Zwiesprache mehr, sondern Instrumente der Einsamkeit.
Das Wesen der menschlichen Geräusche wurde die Angst. Überall verstummte der Gesang.
Da ist es eigentlich kein Wunder, dass sich auch der Akt der Schöpfung veränderte.
Für viele Erwachsene wurde der Gesang, der die heilige Intimität verherrlicht,
zu einem Lied zweier Menschen, die Angst haben und einsam sind.
Für viele Menschen verwandelte der andächtige Akt der Paarung sich in einen Akt der Verzweiflung und wurde zu einem Mittel, um sich an den anderen zu klammern,
ihn zu beherrschen, sich zu verstecken.
Doch zum Glück sind die Erwachsenen weitherzige, vielschichtige Wesen.
Sie können auf eine bestimmte Art und Weise fühlen und handeln, ohne die andere,
die ursprüngliche Handlungs- und Empfindungsweise dabei völlig zu verlieren.
Und deshalb ist auch das Lied der Sexualität nicht völlig verloren gegangen.
Die Menschen haben es nur beiseite geschoben - sie haben es 'absichtlich vergessen'.
Also können wir es zurückgewinnen, uns wieder daran erinnern und es damit ganz neu entdecken.
Den Menschen, die sich gern daran erinnern möchten,
was heilige Intimität für ein Gefühl ist, und die das Bedürfnis haben,
wirklich zu singen, raten die Feen:
1. Übe, bei allem, was Du tust, gegenwärtig zu sein (der Liebesakt beginnt niemals im Schlafzimmer, genau wie Blumen nicht nur tagsüber wachsen. Es ist ein ständiger Prozess.) Und denke dabei vor allem daran: Gegenwärtigkeit bedeutet, den ganzen Menschen zu akzeptieren und einzubringen, der Du wirklich bist - nicht nur den Menschen, der Du Deiner Meinung nach sein solltest.
2. Verbringe Deine Zeit mit Dingen und Menschen, die leidenschaftlich lebendig sind (was das bedeutet, kann jeder nur für sich selbst entscheiden) - ob das nun eine magische Rockmusik-Sammlung, ein skurriler Tubaspieler, Dein Lieblingsstück von Shakespeare, ein Gemälde von Matisse, Dein übermütiger junger Hund, Dein philosophischer Onkel, ein schneebedeckter Strand oder ein erotischer Salat ist.
3. Singe, singe, singe: unter der Dusche, in der U-Bahn - oder singe einem Baum in Deiner Nachbarschaft etwas vor. Singe mit Deiner Stimme, auch wenn sie piepsig und brüchig ist und Du den richtigen Ton nicht immer triffst. Singe einfach, weil es Dir Spaß macht. Singe alles, was Du tust.
Obwohl der letzte Rat eigentlich etwas Selbstverständliches ist, muss er ganz sanft und vorsichtig ausgesprochen werden:
4. Praktiziere die heilige Intimität mit einem Menschen, für den Du sehr tiefe Gefühle hegst. Denke daran:
Ein paar kurze, großartige Sekunden lang erschafft Ihr beide dadurch eine neue Welt..."
( aus "Das Feengeschenk" von Marcia Zina Mager, Ansata Verlag, aus dem Englischen von Marion Zerbst)